Wird die Welt sicherer?

Die Rüstungskontrollvereinigung (Arms Control Association, ACA) nominiert jedes Jahr Einzelpersonen und Organisationen für die Rüstungskontrolle „Person des Jahres“. Um sich als Person des Jahres zu qualifizieren, ist es notwendig, „bei der wirksamen Kontrolle, Zerstörungs- und Abrüstungslösungen der Waffen zu unterstützen“, wie auch „das Bewusstsein über die Gefahren des  Massenvernichtungswaffens zu erhöhen“[1]. Im Jahr 2019 erhielten Areg Danagulyan und seine Kollegen vom Institut für Technologie in Massachusetts den Titel für die Entwicklung einer neuen Methode zur Prüfung der nuklearen Abrüstung. Viele internationale Organisationen, darunter die Vereinten Nationen und die internationale Gesellschaft, teilen die Bedenken hinsichtlich der globalen Stabilität und Sicherheit der Vereinigung. Ausgehend von diesen Gründen wurde eine Reihe von Mechanismen zur Aufrechterhaltung des Friedens und Kontrolle der Konflikten eingerichtet, die jedoch nicht ausreichend waren, um einen dauerhaften „ewigen Frieden“ von Kant zu erreichen.

Versuchen wir nun zu verstehen, welche Entwicklung der Frieden und die Sicherheit in der Welt in den letzten Jahrzehnten gehabt haben. Wir werden das Ende des Kalten Krieges als zentralen Punkt betrachten und versuchen zu verstehen, wie die Dynamik des Konflikts in der Welt nach dem Kalten Krieg mit den Realitäten des Kalten Krieges verglichen wird. Die Entscheidung, den Kalten Krieg als Wendepunkt zu wählen, basiert auf den strukturellen Veränderungen in der Weltpolitik und der wissenschaftlichen Debatte unter Experten für internationale Beziehungen. Einige Wissenschaftler wie strukturelle Realisten argumentieren, dass das bipolare System das stabilste System der internationalen Beziehungen ist [2]. Infolgedessen neigte der Kalte Krieg aufgrund seiner bipolaren Natur zur Stabilität, und sein Ende gefährdete die Stabilität der Welt. Die Anderen, wie die Liberalen, glauben, dass der Sieg der liberalen Ideologie, der Demokratisierung und der wachsenden wirtschaftlichen Interdependenz ein fruchtbarer Boden ist, um internationale Stabilität zu erreichen[3]. 

Die Welt nach dem Kalten Krieg

Nach dem Ende des Kalten Krieges fanden eine Reihe von Ereignissen statt, die für die internationale Stabilität nicht ermutigend waren. Der Golfkrieg, ethnische Säuberungen und Kriege im ehemaligen Jugoslawien, der Völkermord in Ruanda, die Kämpfe in Sudan, Kongo und Somalia, Terroranschläge und Militäreinsätze in Irak und Afghanistan, ethnische Konflikte in der postsowjetischen Region und andere Ereignisse scheinen die Behauptung struktureller Realisten zu bestätigen, dass die strukturellen Veränderungen im internationalen System katastrophische Folgen haben können. Doch stehen diese Ereignisse in einem kausalen Zusammenhang mit dem systemischen Wandel, und bedeutet dies, dass sich die Welt chaotisch bewegt, wenn sie aus der bipolaren Stabilität rauskommt?

Wir denken jedoch, dass die Situation tatsächlich viel ermutigender ist, als es scheint. Versuchen wir anhand einer Reihe von Kriterien zu verstehen, welche Veränderungen im Weltfriedens- und Sicherheitssektor in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben. Die Bewertung basiert auf mehreren Kriterien: 

  • Anzahl der bewaffneten Konflikte, 
  • Anzahl der Opfer, 
  • Militärausgaben, Massenvernichtungswaffen,
  • Strukturelle Veränderungen im internationalen System[4].
Anzahl der bewaffneten Konflikte 

Laut einer Grafik des Osloer Instituts für Friedensforschung (PRIO) ist die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße stark gestiegen. Die meisten bewaffneten Konflikten sind von den internen Konflikten und ihrer Internationalisierung abhängig. Einige Beispiele sind die Aktivitäten des Islamischen Staates und der Gruppierung “Al-Qaida“ auf globaler Ebene sowie die Aktivitäten anderer islamistischer extremistischer Gruppen im Irak, in Afghanistan, Somalia, Libyen und die Reaktion der Vereinigten Staaten auf diese Gruppierungen duch direkte militärische Beteiligung. Ein komplizierteres Beispiel ist Syrien, wo nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch Russland und die Türkei direkt militärisch beteiligt waren (sind), ebenso wie der Iran durch seine untergeordneten Organisationen. 

Die Situation kann durch die Schwächung des Gleichgewichts in der Welt aufgrund des Kalten Krieges erklärt werden. Während des Kalten Krieges, als die Welt in von den USA und der Sowjetunion beeinflussten Bereichen geteilt war, war die Kontrolle der innerstaatlichen Gewalt in einem der von einer der Supermächte kontrollierten Gebiete einfach.

Zum Beispiel war das ganze Osteuropa ein Teil des Warschauer Pakts, wo die Sowjetunion die volle Kontrolle hatte und der Ausbruch instaatlicher Gewalt wenig wahrscheinlich war. Innerstaatliche Konflikte waren in den Vororten wahrscheinlicher, die nicht in Einflusszonen unterteilt waren. Manchmal wurden die Außenbezirke zu Brutstätten der Konkurrenz zwischen den beiden Supermächten, die später im Mittelpunkt vielfältiger Zusammenstöße zwischen externen und internen Akteuren standen. Ein markantes Beispiel ist der Vietnamkrieg, an dem sowohl innerstaatliche als auch zwischenstaatliche und internationalisierte Elemente eingeschlossen wurden. 

Nachdem sich die Situation geändert hat und es jetzt in einigen Regionen mehr als zwei mächtige Akteure gibt, sind innerstaatliche Konflikte nicht mehr so ​​einfach zu kontrollieren wie zuvor. Bereiche, die früher Einflussbereiche für eine der Supermächte waren, haben derzeit keine eindeutigen Sponsoren, deshalb sind die Konflikte im Inland wahrscheinlicher. Einige Beispiele gelten das Osteuropa (der damalige Warschauer Pakt), die Afrika (während des Kalten Krieges äußerten viele afrikanische Länder an die Sowjetunion oder die Vereinigten Staaten ihre Treuheit) und einige Länder des Nahen Ostens. Wenn diese Regionen während des Kalten Krieges etwas stabil waren, wurden sie nach dem Kalten Krieg zu Brutstätten militärischer Konflikte [5]. 

Anzahl der Opfer

Laut verschiedenen Quellen ist die Zahl der Kriegsopfer seit dem Kalten Krieg stark zurückgegangen [6]. Dies kann teilweise durch den allgemeinen Rückgang der zwischenstaatlichen Konflikte erklärt werden. Es ist kein Geheimnis, dass die Staaten nach militärischen Allianzen und Organisationen die größten militärischen Akteure sind. Daher haben zwischenstaatliche Konflikte verheerende Folgen als innerstaatliche Konflikte. Selbst bei internationalisierten Konflikten richtet sich die Beteiligung internationaler Akteure häufig nicht gegen einen bestimmten Staat, sondern gegen eine bestimmte politische oder militärische Organisation oder gegen ein bestimmtes politisches Regime in diesem Land, wie zum Beispiel die militärische Präsenz der USA in Afghanistan. 
Also, obwohl die Zahl der bewaffneten Konflikte im Vergleich zum Kalten Krieg gewachsen hat, hat ihr nichtstaatlicher Charakter und folglich ihr geringer Umfang zu einem starken Rückgang der Zahl der Opfer von Konflikten geführt.
Militärausgaben

Die weltweiten Militärausgaben am BIP sind seit dem Kalten Krieg stark gesunken. Ab 2017 geben allein Saudi-Arabien und Oman mehr als 10 Prozent ihres BIP aus. Und nur drei Länder, Algerien, Kongo und Kuwait, geben zwischen 5 und 10 Prozent aus. Andere Länder geben weniger als 5 Prozent für das Militär aus [7], was seit dem Zweiten Weltkrieg eine beispiellose Leistung für die Welt ist [8].

Diese Informationen sind jedoch zwei Seiten. Erstens erklärt sich diese Situation hauptsächlich aus dem Rückgang der Zahl der zwischenstaatlichen militärischen Konflikte. Auf der anderen Seite zeigt dies, dass ein erheblicher Teil der Staaten skeptisch gegenüber der Möglichkeit größerer militärischer Konflikte in naher Zukunft ist. 

Gegenwärtig können die Militärausgaben jedoch den Frieden der internationalen Beziehungen nicht so gut zeigen wie es zuvor war. Wie die oben erwähnte PRIO-Grafik zeigt, handelt es sich bei den meisten modernen Konflikten um Bürgerkriege und andere Arten interstaatlicher Konflikte, die von nationalen oder anderen globalen Akteuren initiiert werden. Es ist möglich, nur die Militärausgaben der Staaten zu berechnen, es liegen jedoch keine systematischen Daten zu den Militärausgaben von Nichtregierungsorganisationen vor. Dies bedeutet, dass die Anzahl der Militärausgaben nicht absolut ist und nur für nichtstaatliche Länder gelten, indem es sich über die nichtstaatlichen Akteuren nicht ausbreitet. 

Massenvernichtungswaffen (CBRN-Waffen) 

Die Situation bei CBRN-Waffen hat sich seit den 1990er Jahren stetig verbessert. Immer mehr Länder schließen Verträge ab, um die Herstellung und den Verbreitung der CBRN-Waffen zu verhindern, wie die Biowaffenkonvention, Chemiewaffenkonvention und vor allem der Atomwaffensperrvertrag. Die Anzahl der Atomsprengköpfe von Russland und der Vereinigten Staaten ist stark gesunken, und die internationale Gemeinschaft hat rechtliche und psychologische Tabus (nuclear taboo)  geschaffen, um die CBRN-Waffen nicht zu verwenden[9]. 

Diese Rückhaltemechanismen werden jedoch manchmal getestet. Ein alarmierendes Ereignis war beispielsweise der Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag (INF). Der amerikanische Präsident Trump hat behauptet, dass Russland den Pakt durch die Entwicklung bestimmter schiffbarer Raketen verletzt habe. Obwohl Russland die Vorwürfe bestritt, zogen sich jedoch die Vereinigten Staaten aus dem Vertrag zurück. Ein weiterer schwerer Anschlag war das Scheitern des iranischen Atomabkommens und die Bedrohungen von Iran, dass das Uran auf mehr als 3,67% angereichert wird. Die Zukunft eines Atomabkommens mit dem Iran ist im Vorfeld von Trumps Amtsübernahme und den Perspektiven seiner Wiederwahl sowie der jüngsten Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran sehr nebelhaft. 

Es ist schwer vorherzusagen, ob es in naher Zukunft mehr nukleare Supermächte geben wird. Wenn wir den Neorealisten glauben, dann dienen die Atomwaffen eher als ein zurückhaltender als offensiver Umstand [10]. Die Geschichte des Einsatzes der ersten Atomwaffe bestätigt ihre Ansicht: sie wurden nur einmal in 75 Jahren verwendet[11]. 

Die möglichen strukturellen Veränderungen im internationalen System oder die politischen Umgestaltungen in der Welt 

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion galt die Welt weitgehend als homogen, und die Vereinigten Staaten waren die einzige Supermacht. Viele Experten glauben, dass die strukturellen Veränderungen in der Welt angesichts der Stärkung neuer Länder unvermeidlich sind. Ein markantes Beispiel ist China, das seit den 2000er Jahren ein heißes Thema für Wissenschaftler der internationalen Beziehungen ist. Sein Aufstieg war eine der größten Herausforderungen für Pax Americanas und für die Ideen über die „Ende der Geschichte“. Obwohl die Macht von USA in absoluten Zahlen nicht zurückgegangen ist, liegt China in vielen Bereichen immer noch weit hinter den Vereinigten Staaten zurück, und es scheint, dass die Beziehungen zwischen den USA und China bereits die tiefsten zwischenstaatlichen Beziehungen der Welt sind, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. 

Unabhängig davon, ob China schnell wachsen und den Vereinigten Staaten gleich, bipolare Ordnung schaffen wird, oder andere Akteure, wie zum Beispiel Indien ihnen gleich sein wird und wir in einer vielfältigen Welt leben werden, ändert sich bereits der Status quo der Welt, nicht nur aufgrund des Aufstiegs Chinas. Es gibt Änderungen in der US-Außenpolitik sowie in der Politik der EU und Russlands: Einerseits der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, andererseits eine gewisse Verschlechterung der Beziehungen zwischen der EU und den USA und dann Russland, das in der postsowjetischen Zeit eine Integrationspolitik eingeleitet hat (EAWU, OVKS). 

Der Nahe Osten (Beziehungen zwischen den USA und dem Iran, Russland-Türkei-Westen-Beziehungen) ist ebenfalls beteiligt.

Zusammenfassend sind die meisten der oben genannten Faktoren vielversprechend für den künftigen Frieden und die Sicherheit. Die Militärausgaben der Staaten sind im Verhältnis zum BIP immer mehr gesunken, und militärische Konflikte sind weniger tödlich, und die Situation mit dem Massenvernichtungswaffen hat sich relativ verbessert, doch auch noch fragil. Das Hauptanliegen ist die wachsende Zahl der interstaatlichen und internationalisierten Konflikte, die wiederum auf bestimmte geopolitische Umstrukturierungen zurückzuführen sind.

Und diese geopolitischen Umstrukturierungen oder möglichen strukturellen Veränderungen im internationalen System sind immer mit möglichen Konflikten behaftet, auch mit militärischen. Es ist jedoch ermutigend, dass diese Veränderungen seit fast zwei Jahrzehnten andauern und dass wir keine größeren militärischen Konflikte zwischen den Supermächten gehabt haben. Andererseits kann die im Laufe von Jahren entstandene gegenseitige Interdependenz einen Anreiz für eine friedliche Beilegung von Streitigkeiten darstellen. 

Links

[1] 2019 Arms Control Person(s) of the Year Nominees Announced. https://www.armscontrol.org/ pressroom/2019-12/2019-arms-control-persons-year-nominees-announced

[2] Kenneth Waltz, Theory of International Politics. McGraw-Hill, 1979. գլուխ 8

[3] Robert O. Keohane, After Hegemony: Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton University Press, 1984.

[4] Trends in Armed Conflict, 1946–2017. PRIO. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources /Dupuy%2C%20Rustad-%20Trends%20in%20Armed%20Conflict%2C%201946%E2%80%932017%2C%20Conflict%20Trends%205-2018.pdf

[5] Trends in Armed Conflict, 1946–2017. PRIO. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources /Dupuy%2C%20Rustad-%20Trends%20in%20Armed%20Conflict%2C%201946%E2%80%932017%2C%20Conflict%20Trends%205-2018.pdf

[6] Max Roser (2020)-“War and Peace”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/war-and-peace’ [Online Resource]

[7] Max Roser and Mohamed Nagdy (2020)-“Military Spending”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/military-spending’ [Online Resource]

[8] Ibid։ 

[9] Max Roser and Mohamed Nagdy (2020)-“Nuclear Weapons”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/nuclear-weapons’ [Online Resource]

[10] Kenneth Waltz (2012) Why Iran should get the bomb. Nuclear Balancing would mean stability. Foreign Affairs;91 (4): 2–5.

[11] Pinker, Steven. The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined. Figure 5-22. Penguin, 2011.

Literaturverzeichnis

  1. 2019 Arms Control Person(s) of the Year Nominees Announced. https://www.armscontrol.org/pressroom/2019-12/2019-arms-control-persons-year-nominees-announced
  2. Kenneth Waltz (2012) Why Iran should get the bomb. Nuclear Balancing would mean stability. Foreign Affairs;91 (4): 2–5.
  3. Kenneth Waltz, Theory of International Politics. McGraw-Hill, 1979.
  4. Max Roser (2020)-“War and Peace”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/war-and-peace’ [Online Resource]
  5. Max Roser and Mohamed Nagdy (2020)-“Military Spending”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/military-spending’ [Online Resource]
  6. Max Roser and Mohamed Nagdy (2020)-“Nuclear Weapons”. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: ‘https://ourworldindata.org/nuclear-weapons’ [Online Resource]
  7. Robert O. Keohane, After Hegemony: Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton University Press, 1984.
  8. Trends in Armed Conflict, 1946–2017. PRIO https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Dupuy%2C%20Rustad-%20Trends%20in%20Armed%20Conflict%2C%201946%E2%80%932017%2C%20Conflict%20Trends%205-2018.pdf


Autor: Gevorg Gasparyan © Alle Rechte sind vorbehalten.

Übersetzer: Hripsime Manukyan